Komm, schrei: „Ja, ich bin geimpft!“
Er schreit in einem fort um es allen mit zu teilen, ins Gehirn zu hämmern, in sämtliche Eingeweide, ins lebenslange Gedächtnis ein zu pflanzen. Nicht aufzwingen, nicht überzeugen, nicht den Unwissenden überreden, bloß mitteilen. Im Gegenzug erwartet er keinen Funken Widerspruch, nicht die Überzeugungsarbeit selbsternannter Generalmediziner. Er selbst ist nicht in der Lage zu beweisen, er kann es nicht wissen, er wird es nie logisch begründen und versucht es nicht. Allein sein Gefühl vermittelt ihm eine Entscheidung des Zweifels und der Blindheit. Sehnsucht nach Allwissen und Sicherheit treiben seine Gedanken, finden sich in unzulässigen Zirkelschlüssen wieder, vertreiben die Bedenken seiner Umwelt. „Ich bin geimpft, und ich werde mich abermals impfen lassen!“, kräht er sich ins Gewissen. Sein Bewusstsein von Recht und Unrecht, diese unsägliche Ahnungslosigkeit quält ihn, er martert sich täglich, stündlich, sein ganzes Leben treibt ihn die Sicherheit der Unwissenheit. Ewig, bis heute verbirgt er das Unvermögen zur Allwissenheit, vor sich, seinen Freunden, seiner Familie. Argumente und logische Erklärungen begleiten ihn, er klärt auf, ist ein willkommener Gesprächspartner, stellt zielführende Fragen, hält dialektische Diskurse im Laufen, bereichert jedes Gespräch. Bis heute, dieser unsäglichen Zeit der idiotischen und selbstvergessenen Menschlichkeit der erzwungenen Arterhaltung. Jedermann erklärt die Notwendigkeit des kollektiven Bestrebens, die Art „Mensch“ dieser Erde zu erhalten. Kein Zweifel hindert uns an der Überzeugung des Unfehlbarkeitsdogmas, der Spitze der Evolution anzugehören. So stehen wir in der Verpflichtung, alles daran zu setzen, um uns Sterbliche diesem Planeten zu bewahren. Wir sind verpflichtet zu bestehen, immer und ewig, nicht Nichthandeln, nicht die Chance auslassen, um uns weiter zu bringen, die Erdbewohner gesünder und unverwundbarer werden zu lassen. „Ja, ich bin geimpft!“
„Nie lass ich mich impfen!“
„Hau ab, verschwinde! Du hast kein Recht mir dies abzuverlangen!“
Er wird sich nicht in diese kollektive Wut des Unvermögens hineinzwängen, in diesen Wahn, die Zukunft zu bestimmen. Ist die Wirksamkeit der schon medizinischen Entwicklung beweisbar? Wozu meinen Körper einem Risiko aussetzen? Ich will dies nicht, stelle den Anspruch zu entscheiden, wann und wo ich mich einer Behandlung unterziehe. Das Ego verlangt, im vollen Bewusstsein der Gefühle, diesen Entschluss zu treffen. Ich bin nicht überzeugt, und niemand wird es schaffen, zu überzeugen. Wer immer diese Argumente mir vorträgt, wird den Zorn des verletzten Dünkels ernten, die volle Wucht der Menschenrechte ins Gesicht geschmettert am Boden zerstört sein. Lass es meine Entscheidung sein, geleitet von innersten Werten. Wer entscheidet, wann eine Epidemie eintritt, die die Grundrechte aushebelt? Wer definiert dies? Einige, viele Tote? Die Gefahr des Todes? Die Gefährdung und Überlastung des teuren Krankenhausapparates, dessen Versagen dann, ja die Möglichkeit des Anstiegs der Sterblichkeit? Ja, was bringt uns dazu, eine Konstellation anzunehmen, die diese Notstandssituation der Aushebelung der erkämpften Freiheitsrechte zu beschränken? Es lebe der Statistiker, der Zahlenmensch, unfähig die Empathie der Kreatur nachzuvollziehen. Diese Mathematiker werden endlich gehört, letztlich erlangen Sie die Stellung, die Erhöhung, welche seit Jahrtausenden zusteht, entscheiden sie die Zukunft der Menschheit, beeinflussen ganze Rechtssysteme, verändern die Logik des Handels, der Finanzen, der Richtung der Evolution. Uralte Theoreme und Einzellösungen von Problemstellungen aller Belange des menschlichen Daseins wird gekrönt durch die Entscheidungsmacht der Statistik. QED
„Nie lass ich mich impfen!“.
Ist das so?
Wir leben heute, ja wir leben, wir alle, wir verstreuten im Geiste der Gleichheit und Menschlichkeit. Wann haben wir diesen Glauben verloren, die Gläubigkeiten an die Freiheit des Genius, der freien Entscheidung, dem Wissen der Überzeugung. Hatten wir die freie Wissenswahl denn je? Waren es nicht stets Einzelne, die erst durch die Überzeugungskraft der historischen Einsicht in den Olymp der Weisheit und Vorausschau erhoben wurden. Mit Sicherheit verlies sich die Menschheit auf dieses zeitverschobene Korrektiv. Und jetzt? Sehen, erahnen wir diese Möglichkeit? Werden je die Einen oder die Anderen Recht erhalten? Liegt die Richtigkeit wieder mal in der Mitte? Reduzieren wir die Wahrheitsfindung auf die Wissenschaft der Statistik?
Selbst jene die sich Einsetzen für die freie Entscheidung, wie dieser dem jugendlichen Heisspornverhalten eindeutig hinaus gewachsene Demonstrant auf dem Foto, determinieren die Wahrheit und somit die Grundlage zum freien Entschlusse durch vorgefertigte und einschränkende Prämissen. Er setzt das Risiko einer Infektion voraus. Ist das so? Unterliegt jedermann der Möglichkeit der Ansteckung? Gibt es Menschen, welche nie und nimmer infiziert werden?
Wir kämpfen für die Einhaltung hoher Werte, schnell bilden sich Lager, sofort werden Gegnerschaften erkannt und ein Standpunkt, der einzig Wahre nach außen getragen. So, dass man dafür demonstriert, verkennend den tieferen Sinn und unfähig dies auszusprechen.
Grundlage einer Impfpflicht ist ein Gesetz, beruhend auf der Verfassung. Diese Konstitution, von Einzelwesen für die breite Masse geschrieben. Sie beruht wiederum auf der Fiktion einer Einverständniserklärung der Einzelnen, dass weinige oder Einer Recht erlassen dürfe, um dem Gesamtwohl zu dienen. Die verschiedenen Erklärungen und philosophischen Rechtfertigungen
lässt schon die Schwierigkeit dieses Grundsatzes, geläufig und vereinfacht „Gesellschaftsvertrag“ genannt, erkennen. Haben wir für immer und ewig dazu bereit erklärt?
Betrifft es bei all diesen Auseinandersetzungen die Impfpflicht - ja oder nein - nicht eher um die absolute Grundlage jeder Verfassung? Wünschen wir das so? Gibt es nicht bessere Möglichkeiten des gesellschaftlichen Zusammenlebens? Wie gestaltet sich eine Gruppe von Menschen, um Einzelne zum Bestimmer aus zu erwählen. Stellt diese Aussage auf dem Plakat nicht per se uns, die scheinbare Ordnung, die Nationalstaaten, die Gestaltungsmöglichkeit einiger weniger über das Schicksal anderer zu beschließen, in Frage ?
Ich bin mir nicht sicher, ob jener Demonstrant mit Brille und starrem Weitblick dies im Blickfeld hat, aber er wirft er für mich die Problematik auf:
„Ist das so?“